Steffen Weinhold, Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek (alle Kiel) und Finn Lemke (Melsungen) verzichten auf die WM, Fabian Wiede von den Füchsen Berlin fühlt sich noch nicht fit genug, Flensburgs Rückraumspieler Franz Semper und Lemgos Tim Suton fallen mit einem Kreuzbandriss aus und Magdeburgs Top-Torjäger Matthias Musche muss mit einer Knieverletzung ebenfalls lange pausieren: Bundestrainer Alfred Gislason muss vor der WM in Ägypten immer mehr Ausfälle verkraften. Laut dem aktuellen VBG-Sportreport 2020 verletzt sich jeder Handballprofi in der Bundesliga durchschnittlich 2,2 Mal pro Saison und fällt damit 26 Tage aus.

Wer wird Handball Weltmeister 2021?

Dem Handball fehlt das Geld

Die Anforderungen an die Spieler sind zu hoch, sagt Dr. Frowin Fasold, Handball-Experte am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule in Köln, gegenüber Sportwetten. Theoretisch sei es zwar möglich, diese Belastung zu stemmen. „Aber der Handball befindet sich nicht auf dem finanziellen Niveau wie der Fußball oder der Basketball in Nordamerika, wo den Spielern Pausen verordnet werden, um die Belastung zu mindern. Diese Möglichkeiten fehlen dem Handball durch die mangelnden wirtschaftlichen Voraussetzungen in der besten Handball-Liga der Welt. Und das wirkt sich am Ende in Verletzungen aus“, erklärt der Sportwissenschaftler und Trainer.

Unverletzt spielen ist uncool

Dabei sind die in dem Sportreport erfassten Verletzungen nur die, die auch zu berufsbedingten Ausfällen führen. Dr. Fasold: „Wenige Handballer spielen völlig unverletzt. Kleinigkeiten schleppen sie immer mit sich herum. Das ist aber bei allen Spielsportarten wie Fußball oder Eishockey auf hohem Niveau so, die nehmen das alle mit. Um es mal ein wenig reißerisch zu sagen: ,,Es ist schon fast uncool, unverletzt zu spielen.“ Am meisten trifft es beim Handball Sprunggelenk oder Knie, beim Fußball ist es der Oberschenkel. Aber natürlich sind auch andere Körperteile betroffen, insbesondere der Wurfarm oder die Schulter.

media

Unfall oder Ermüdung

Dabei unterscheidet der Wissenschaftler zwei Ursachen: „Es gibt Unfallverletzungen und es gibt Verletzungen, die durch Ermüdung oder Vorschäden entstehen. Gegen Unfallverletzungen kann man wenig machen. Wenn zwei Spieler mit den Köpfen zusammenstoßen, bricht schon mal das Jochbein. Da kann man so viel trainieren wie man will“, beschreibt es Dr. Fasold. Aber wenn sich ein Handballer nach einem Sprungwurf bei der Landung ohne Gegnerkontakt verletzt, dann ist das vermeidbar, das Risiko minimierbar. Mit den entsprechenden vorbereitenden Übungen und Techniktraining – wie führe ich eine Körpertäuschung oder Landung aus – kann man gut vorbeugen. „Selbst wenn man nur 20 oder 30 Prozent der vermeidbaren Verletzungen reduziert, hat man schon einen sehr hohen Effekt“, erläutert der Experte. Daran wird auch gearbeitet. Problematisch wird es aber, wenn die Ermüdung hinzukommt. Dann lassen sich Verletzungen nicht vermeiden.

Der Kopf muss mitmachen

Zum körperlichen kommt zudem das kognitive Training. Dabei geht es darum, wie Situationen wahrgenommen und gesehen werden, wie ein Spieler lernt, sich zu fokussieren. Darüber hinaus analysieren die Verantwortlichen die Spieler, indem sie die Belastung messen.

Der Spieler muss lernen, sich selbst und seinen Körper einschätzen zu können.

Dr. Frowin Fasold

Dabei erfahren sie, wann ein Akteur aus dem Spiel genommen werden muss, um ihn zu schützen. Ist ein Spieler im Kopf nicht mehr auf der Höhe, machen die Muskeln auch nicht mehr richtig mit. „Zudem muss der Spieler lernen, sich selbst und seinen Körper einschätzen zu können. Das geht aber nicht in ein oder zwei Monaten, es ist ein Prozess über Jahre“, berichtet Dr. Fasold.

Per Mertesacker und die Eistonne

Die Regenerationsphase nach dem Spiel ist ebenfalls wichtig, um die Spieler fit zu halten. „Es geht los mit der berühmten Eistonne, die sich mittlerweile auch in vielen Handballkabinen wiederfindet“, erinnert Dr. Fasold an den berühmten Spruch von Per Mertesacker bei der Fußball-WM 2014. Ob Massage, Musik, Entspannungstechniken, Stretching oder Atemübungen: Jeder Spieler reagiert anders auf die regenerativen Maßnahmen. Doch es ist aufwendig und komplex, individuelle Modelle für jedes Kadermitglied zu erarbeiten. Und hier stößt der Handball wieder an seine finanziellen Grenzen, während der Fußball ganz andere Möglichkeiten hat.

Der Fluch eines WM-Titels

Hinzu kommt der psychische Stress. „Wir beobachten das sehr häufig, gerade in der Bundesliga: Die Spieler, die von großen Turnieren wiederkommen und dabei auch noch Erfolg hatten, fallen in dieses berühmte Loch. Das wirkt sich massiv auf die Leistungsfähigkeit und die Regeneration aus“, nennt der Trainer am Handball-Leistungszentrum Dormagen ein weiteres Verletzungsrisiko. Nach einem WM-Finale wieder Schlag auf Schlag in der Liga zu spielen, ist kognitiv sehr belastend.

Belastung anders als beim Fußball

Mental geht es wohl allen Profisportlern ähnlich. Doch die physischen Belastungen von Fußball und Handball sind nicht miteinander zu vergleichen. Der Fußball ist geprägt von längeren ausdauernden Phasen, während die Handballer kurze und intensive Belastungsphasen mit längeren Pausen im Spiel haben. Das ergibt andere Anforderungen an den Stoffwechsel und an die Energiebereitstellungsprozesse. Erhebliche Unterschiede gibt es zudem beim Reisestress und bei den Regenerationsmöglichkeiten. Der Fußball ist da deutlich komfortabler aufgestellt. Denn während die Handballer noch häufig im Bus von A nach B durch die Republik oder zu Begegnungen in der Champions League reisen, düsen die Kicker viel entspannter per Jet zum Match und haben häufiger die Gelegenheit, vor dem Spiel im Hotelbett zu relaxen.

media

Klubs in einem Dilemma

Es gilt zudem, die stetig aufkommenden neuen Erkenntnisse in der Trainingswissenschaft umzusetzen. Das Wissen über die Trainingsmethodik unterliegt einem dauerhaften Wandel. Auch hier sieht Dr. Fasold die Handballvereine im finanziellen Dilemma: „Welcher Klub kann sich einen hauptamtlichen Athletiktrainer leisten, der dann nicht auch noch alle anderen Mannschaften wie die Jugend mitbetreuen muss? Auch nur eine Mannschaft mit 14 verschiedenen Charakteren und Voraussetzungen ist schon viel für einen Athletiktrainer“, sieht er die Möglichkeiten begrenzt.

Smoothie für die Nationalspieler

Ebenso gilt es, bei der Ernährung die richtigen Akzente zu setzen. „Da liegt noch sehr viel Potenzial. Wir müssen die Spieler ausbilden, sich sehr ausgewogen und der Sportart angepasst zu ernähren. Sich nach jedem Training einen Eiweiß-Shake zu genehmigen kann man machen, muss aber nicht sinnvoll sein“, erklärt er und nennt ein Beispiel aus der Männer-Nationalmannschaft: „Das Team bekommt vom Mannschaftsarzt nach dem Spiel relativ zeitnah einen Smoothie gereicht. Der ist so zubereitet, dass er die richtigen Energiespeicher möglichst rasch wieder auffüllt und für eine optimale Regeneration vorbereitet.“ Eben ausgewogen.

Belastung in der Bundesliga reduzieren?

Aus sportlicher Perspektive wäre für Dr. Frowin Fasold daher eine Reduzierung der Mannschaften in der Bundesliga notwendig – auch, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. „Wenn die Viertelfinals der Champions League anstehen, dann haben die Vereine wie Barcelona oder Veszprém keine sehr hohe Belastung in ihren Ligen, während unsere Bundesligisten alle drei Tage quer durch die Republik reisen und ein sehr intensives Spiel haben. Damit haben sie natürlich schlechtere Voraussetzungen als Vereine, die ihren Topathleten mehr Pausen geben können“, nennt er die Gründe. Aber da gibt es auch noch den ökonomischen Aspekt, um möglichst viele Einnahmen zu erzielen.

media  
Dr. Frowin Fasold lehrt am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Deutschen Sporthochschule Köln und ist Trainer des Handball-Nachwuchsleistungszentrums in Dormagen.

Unattraktiv wie die Nations League im Fußball

Der Sportwissenschaftler sieht zudem die aufgeblähte Champions League als Problem. So ist es möglich, dass in einer Saison der Klassiker Barcelona gegen Kiel viermal auf dem Programm steht. Das kann für Spieler und Zuschauer immer unattraktiver werden. „Die Nations League im Fußball ist für den Zuschauer scheinbar komplett unattraktiv geworden. Wenn die deutsche Elf spielt, scheint kein großes Bedürfnis mehr zu bestehen, diese Spiele zu sehen. Im Handball sollten wir vermeiden, da hinzukommen“, warnt Dr. Fasold mit einem aktuellen Beispiel und empfiehlt, die Spielstrukturen zu ändern.

Den Special-Skill wiederentdecken

Um die Belastung für die Spieler besser zu dosieren, sieht er auch wieder die Entwicklung hin zu Spielern, welche nicht nur als Generalisten auftreten, sondern mit besonderen Fähigkeiten aufwarten. Derzeit sei zwar so gut wie jeder Bundesligaprofi in der Lage, im Angriff und in der Verteidigung zu spielen. „Die meisten Vereine erlauben sich aber den Luxus, Abwehrspieler zu haben, um Angreifern eine Pause zu geben und anders herum. Der Vorteil: Ein Verteidiger, der im Angriff nicht spielen muss, kann nicht nur körperlich Kraft tanken, sondern auch kognitiv. Er kann sich mit dem Trainer und mit Mannschaftskameraden besprechen. Er kann Dinge verarbeiten, um geplant und noch sicherer in die nächste Situation zu gehen“, erläutert der Experte. Neben den reinen Generalisten – Spieler, die alles gleich gut können – werden Spezialisten für ganz besondere Situationen wiederentdeckt. „Wir entdecken wieder Spieler die nicht alles können, aber mit einem Special-Skill aufwarten können. Einer, der eine Sache ganz besonders gut kann. So etwas wird in Zukunft wieder verstärkt auftauchen.“ Und vielleicht erleiden diese Spezialisten dann auch weniger Verletzungen.

Alle Wetten zur Handball-WM 2021

Hier geht's zu den betway Handball Wetten. Sichere dir bis zu 150€ Willkommensbonus! Konditionen gelten.

Lade dir direkt die betway Sportwetten App herunter und genieße die volle Welt der Sportwetten mit betway!